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“Nursery Rhymes” – Einleitung
Nursery Rhymes – der englische Begriff für Kinderreime, Kinderlieder, Wiegenlieder, lässt bei mir sofort das Bild einer behaglichen viktorianischen Kinderstube mit einem prasselnden Feuer im Kamin entstehen.
Davor sitzt in einem behaglichen Lehnstuhl eine alte Nanny oder Großmutter und unterhält und belehrt die muntere – oder quengelige, je nach Tagesform – Runde ihrer Zöglinge oder Enkelkinder mit den traditionellen Kinderreimen.
(Bild links: Gordon Johnson/Pixabay)
Folgender Vers von 1820 [1] würde gut zu dem Bild passen, gefunden habe ich ihn mitsamt deutscher Übersetzung in dem Buch “Nursery Rhymes – Englische Kinderverse” des Deutschen Taschenbuchverlags [2].
"What are little boys made of? Frogs and snails And puppy-dog's tails That's what little boys are made of.What are little girls made of? Sugar and spice and all things nice That's what little girls are made of."
So, jetzt seht Ihr gleich, warum man die Verse im Original und nicht in der Übersetzung lesen sollte.
"Woraus sind kleine Jungens gemacht? Frösche und Schnecken und Hundeschwänzchen – daraus sind kleine Jungens gemacht.Woraus sind kleine Mädchen gemacht? Zucker und Gewürze und alle guten Dinge – daraus sind kleine Mädchen gemacht."
Ohne rechtes Versmaß fehlt eindeutig der besondere Charme. Jedoch die Botschaft dieses Reims bleibt erhalten: kleine Mädchen sind eindeutig aus appetitlicheren Zutaten gemacht!!!
“Nursery Rhymes” – Hintergrund
Nursery Rhymes haben im englischsprachigen Raum eine lange Tradition. Historiker fanden sogar Aufzeichnungen aus dem 13. Jahrhundert, die meisten wurden jedoch im 17., 18. und 19. Jahrhundert aufgeschrieben, eine erste Sammlung gab die Londoner Verlegerin Mary Cooper [3] 1744 heraus. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verbreiteten gedruckte Verssammlungen sich über England hinaus in die Welt.
Die Texte erscheinen manchmal recht zusammengewürfelt und das sind sie auch. Jürgen Dahl, der für mein Lese-Exemplar die Reime ausgesucht und übersetzt hat, bemerkt in seinem Nachwort:
“Sprichwörter und Fibelverse, Marktgeschrei und Theatercouplets, Küchenlieder und Rätsel, Wiegenlieder und Abzählreime, Gassenhauer und Balladen, Fingerspiele und Ringelreihen, Ermahnungen und Warnungen, Historisches und Komisches, Gedichtetes aller Art, in jeder Ton- und Preislage: In einen Topf wird da geworfen, was sich nie zuvor gesehen hat.”
“Nursery Rhymes-Englische Kinderverse”, München, 1983, Seite 100.
Und dieses Gemisch soll Sinn machen? Oh, ja, durchaus!! Das kindliche Gedächtnis wird durch die gereimten Zeilen ausgebildet, die Phantasie wird angeregt und “ausgebaut”, durch den Rhythmus und dazu passende Gesten lassen die Gedichtchen sich leicht erlernen (wie ich in Meine Leselampe geschrieben habe, spuken mir derlei Verse aus den ersten Stunden des Englischunterrichts immer wieder mal im Kopf herum -> https://www.meineleselampe.de/and-nursery-rhymes-meine-leselampe-22-kw-25/) und die Neugier auf Hintergründe und Zusammenhänge wird geweckt [4].
Ammen, Kindermädchen, Mütter und Großmütter spendeten mit den Kinderreimen Trost, wandten sie zur Belehrung, Erheiterung, Ablenkung, Mahnung an – kurz: es empfahl sich, immer einige Verse oder Liedchen in Petto zu haben…
(Bild rechts: OpenClipart-Vectors/Pixabay)
Mich haben besonders die historischen Wurzeln mancher Kinderreime interessiert, bei historic-uk im Internet bin ich auf ihre Geschichte und Ursprünge (Achtung: es gibt fast immer mehrere Erklärungsansätze!!) gestoßen. Das in meiner Vorschau bereits zitierte und hergeleitete “Humpty-Dumpty” [5] könnte sich demnach auch so erklären:
Humpty Dumpty war der Name einer großen Kanone, mit der die Truppen König Karls I. sich gegen Oliver Cromwells “Roundheads” (die Parlamentstruppen) im englischen Bürgerkrieg von 1642 bis 1651 verteidigten.
Die Kanone stand während der Belagerung von Colchester auf einem Kirchturm und wochenlang wurde mit ihr auf die gegnerischen Streitkräfte gefeuert.
(Bild links: Gordon Johnson/Pixabay)
Bis der Kirchturm von den Roundheads gesprengt wurde, die Kanone herunterstürzte und unten im tiefen Schlamm unrettbar versank [6]. Tja, da konnten “All the King’s Men and all the Kings’s Horses” nichts mehr ausrichten!!
“All the King’s Men and all the King’s Horses” – diese Zeile kam mir so bekannt vor, als ich “Humpty-Dumpty” las und siehe da, bei dem Songtext “Squonk” von “Genesis” (aus dem Album “A Trick of a Trail” von 1976) wurde ich fündig [7]!!! Ich wusste doch, dass ich das schon mal gehört hatte.
Ihr seht, die Nursery Rhymes werden immer wieder gern hergenommen, durchziehen die Musik und Literatur der Epochen. Das zweisprachige dtv-Buch “Nursery Rhymes – Englische Kinderverse” enthält die bekanntesten wie “Three blind mice”, “Baa, baa, black sheep”, “Mary had a little Lamb” (USA), “London Bridge is broken down”, “Old King Cole”, “Hot Cross Buns!”, “Georgie Porgie”, “Oranges and Lemons” und und und…
“Nursery Rhymes” – mein Fazit
Es macht Spaß, in den “Nursery Rhymes” zu schmökern, es wird Euch überraschen, wie schnell die Reime sich einprägen!!! Die Verse werden stimmungsvoll umrahmt von den Holzschnitten Thomas Bewicks (1753-1828, [8]). Ich empfehle ausdrücklich, auch das Nachwort von Jürgen Dahl zu lesen, es ist humorvoll und informativ zugleich. Und für seinen Hinweis auf Iona und Peter Opie und den von ihnen herausgegebenen Werken “Oxford Nursery Rhyme Book” sowie “Oxford Dictionary of Nursery Rhymes” bin ich sehr dankbar.
Mögen die Nannys und Nurses der guten alten Zeit auch entschwunden sein – ihre Reime existieren fort.
(Bild rechts: OpenClipart-Vectors/Pixabay)
Noch einen zum krönenden Abschluss:
“Hickory, dickory, dock,
The mouse ran up the clock.
The clock struck one,
The mouse ran down,
Hickory, dickory, dock.”
Und dideldum… Wir lesen uns wieder am Donnerstag, den 30. Juni 2022, gleiche Stelle, gleiche Welle sozusagen. Das Thema wird Mark Twain sein und seine heiteren Ansichten über die deutsche Sprache = schwere Sprache!!! So, jetzt folgen noch Literaturhinweise, Quellen und Weblinks zu den “Nursery Rhymes…
“Nursery Rhymes” – mein Lese-Exemplar nebst einer Literaturempfehlung
[2] “Nursery Rhymes – Englische Kinderverse”, zweisprachige Ausgabe, 102 Seiten (mit Nachwort), Auswahl, Übersetzung und Nachwort von Jürgen Dahl, Holzstiche von Thomas Bewick (1752-1828), erschienen 1983 bei dtv, München.
Opie, Iona, “Oxford Dictionary of Nursery Rhymes”, illustrierte und gebundene Ausgabe, englisch, 559 Seiten, herausgegeben von Peter Opie, erschienen 1998 bei Oxford University Press.
“Nursery Rhymes” – Quellen und Weblinks
[1] Nursery Rhymes, ihre Herkunftsländer, ihre Entstehungsdaten -> https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_nursery_rhymes
[3] über Mary Cooper -> https://en.wikipedia.org/wiki/Mary_Cooper_(publisher)
[4] zur Herkunft von “Humpty-Dumpty” -> https://www.meineleselampe.de/and-nursery-rhymes-meine-leselampe-22-kw-25/
[5] pädagogische Anmerkungen und Nursery Rhymes zum Mitsingen -> https://chimesradio.com/parenting-blogs/50-best-english-nursery-rhymes/
[6] über “Humpty-Dumpty” und den englischen Bürgerkrieg -> https://www.historic-uk.com/CultureUK/More-Nursery-Rhymes/
[7] ein Song aus der guten alten Zeit, in doppelter Hinsicht – mal reinhören? -> https://musikguru.de/genesis/songtext-squonk-19998.html
[8] über Thomas Bewick und seine Holzschnitte -> http://www.bewicksociety.org/