Inhalt
Bekenntnisse eines englischen Opiumessers
Einführung
Opium – der Poet, Essayist, Journalist und Übersetzer Thomas de Quincey war wohl der erste, der es wagte, seine Sucht literarisch bekanntzumachen. 1821 erschienen seine biographischen „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ – zunächst im London Magazine und 1822 als Buch.
Die Erhöhung der Seele und des Verstandes durch das Opium, dann die Qualen und der Verfall durch die Droge beschreibt Thomas de Quincey unverblümt und ehrlich.
Noch bemerkenswerter erscheint mir die Fortsetzung: „Suspiria de Profundis – Neue Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“, die 1845 herauskam. Es ist eine Sammlung von Essays, ein wahres Schatzkästchen an philosophischen, tiefenanalytischen, historischen, religiös-mythischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen de Quinceys.
Ich gestehe, als ich mir das Buch „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ und die Fortsetzung „Suspiria de Profundis“ (gern übersetzt als „Seufzer des Verderbens“, streng genommen aber „Seufzer aus der Tiefe“) vornahm, erwartete ich einen Hauch von Skandal und Verwerflichkeit. Vermutlich folgte ich dem niederen Trieb der menschlichen Sensationslust. Wie überrascht war ich, als ich stattdessen auf ein philosophisches und analytisches Werk stieß! Könnte man geistige Komplexität wiegen, müsste das schmale Bändchen mit gerade mal 172 Seiten tonnenschwer sein.
Ja, Mr. Thomas de Quincey, ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich die Vielschichtigkeit Ihres Werkes klar und strukturiert wiedergeben könnte – ich weiß, dass ich an Ihnen gemessen, nicht(s) weiß.
Zunächst versuche ich mich an „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“, die leichter zu verstehen sind (mal abgesehen vom „Hinweis für den Leser“, in dem Sie recht verwickelt die zeitlichen Abläufe Ihrer Sucht und Ihrer Aufzeichnungen erklären). Ein Problem hatte ich übrigens auch mit Ihrer Vita, unterschiedliche Quellen machen zu einigen Lebensdaten unterschiedliche Angaben.
Vorbekenntnisse
In ihnen schildern Sie, wie alles begann. Ihr Vater starb früh, Sie und Ihre Geschwister wurden unter die Vormundschaft von Freunden und Verwandten Ihres Vaters gestellt. Sie besuchten verschiedene Public Schools und beherrschten schon früh perfekt das Lateinische und Griechische, was Ihnen gleichermaßen Lob und Neid einbrachte.
Doch Sie, Mr. de Quincey, waren als Philosoph geboren, nichts anderes zu sein, strebten Sie an. Ihnen waren Bücher und Einsamkeit, um sie studieren zu können, schon immer wichtiger als Menschen und ihr Urteil. Eine Ausnahme gab es, die Anerkennung der Lake Poets um den von Ihnen so verehrten William Wordsworth -> https://www.meineleselampe.de/wordsworth-geburtstag/ bedeutete Ihnen viel.
Ihren Wunsch, in Oxford zu studieren, mussten Sie sich gegen den Widerstand Ihrer Vormunde erkämpfen, Sie liefen aus der Schule davon, reisten durch Wales, gingen dann nach London, waren zeitweise obdachlos und verhungerten fast. Ohne den obskuren Anwalt Burnell und die junge Prostituierte Ann hätten Sie vielleicht nicht überlebt (diese Episode aus Ihrem Leben mutet an wie der Stoff zu einem Charles-Dickens-Roman, ist Ihnen das auch mal durch den Kopf gegangen?).
Doch letztendlich durften Sie nach Oxford. 1804 litten Sie unter neuralgischen Zahn- und Kopfschmerzen und griffen auf Rat eines Bekannten zum Opium. Gut, das war zu Ihrer Zeit nichts Außergewöhnliches, Laudanum (Opium in Alkohol gelöst) war ein Allheilmittel. Und auch bei Ihnen entfaltete das Opium seine Wirkung, Ihre Schmerzen verschwanden und Sie erlebten darüber hinaus etwas ganz Besonderes…
Die Freuden des Opiums
Neben dem Geschenk der Schmerzfreiheit, das Ihnen das Opium gemacht hatte, bereicherte es Ihren Verstand, Ihre Sinneseindrücke und Ihre Empfindungen, wie Sie es in den „Bekenntnissen eines englischen Opiumessers“ sehr poetisch ausdrücken. Ich zitiere:
Der Opiumesser …. fühlt den göttlicheren Teil seines Wesens emporsteigen; das heißt, seine Gefühle verharren in einem Zustande wolkenloser Heiterkeit, und über allem glänzt das große Licht des erhabenen Geistes“.
Seite 46 aus Thomas de Quincey, „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“, 172 Seiten (ohne Anmerkungen), übersetzt von Walter Schmiele, erschienen 1965 im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) München.
Sie hatten die Dosierung des Laudanum im Griff, sie konsumierten es einmal wöchentlich, wenn Sie sich einen Abend in London gönnten und die Oper besuchten. Das sollte – wie bei allen Süchtigen – nicht so bleiben.
Warum eigentlich verließen Sie Oxford 1812 trotz bester Beurteilungen ohne Abschluss? Sie zogen statt dessen in den Lake District, in die Nähe William Wordsworths, ließen sich den Haushalt von einem Dienstmädchen führen (war das die Bauerntochter Margaret Simpson, die Sie später heirateten, mit der Sie in den Augen Ihrer Zeitgenossen „unstandesgemäß“ glücklich waren und acht Kinder bekamen?), gaben weiterhin viel Geld für Bücher aus und widmeten sich dem Studium der Werke Kants, Schillings und Fichtes. Geistig belebt und beflügelt vom Opium.
Das sollte nicht so bleiben. In
Einführung in die Leiden des Opiums
blicken Sie noch einmal auf die glückliche und sinnerfüllte Zeit zurück, da das Laudanum rubinrot schimmernd (lautet Ihre liebevolle Beschreibung) in einer Karaffe neben Ihnen stand, wenn Sie sich nachts in ihre Bücher vertieften. Zwar hatten Sie 1813 wegen schwerer Magenprobleme jeden Tag Laudanum genommen, konnten nach Abklingen Ihrer Magenentzündung die tägliche Dosis aber ohne Entzugserscheinungen zunächst wieder verringern.
Sie erwähnen in diesem Kapitel die Begegnung mit einem Malaien, der sich verirrt hatte und bei Ihnen an die Tür klopfte. Sie sprachen seine Sprache nicht und er nicht die Ihre. Zum Trost gegen seine Einsamkeit gaben Sie ihm ein Stück Opium mit – die Portion hätte mehrere Menschen getötet!! – das er zu Ihrem Entsetzen sofort und vollständig aß. Noch lange machten Sie sich Gedanken darüber, ob der Fremde daran gestorben sein könnte.
(Bild links von NachtmahrTV/Pixabay)
Langsam fing der ständige Drogenkonsum an, bei Ihnen seine verheerende Wirkung zu zeigen und 1817 begannen
Die Leiden des Opiums
Ihre geistige Regheit ließ nach, sie wurden melancholisch, schwach, handlungsunfähig und verwirrt, grässliche Halluzinationen und Alpträume suchten Sie heim und jetzt hätten Sie ihr Laudanum gewiss nicht mehr als „gerecht, unendlich zart und machtvoll“ (Seite 53) gepriesen.
Sich selbst analysierend erkannten Sie, woher die Elemente ihrer Traumbilder stammten. Es waren Ereignisse aus Ihrer Kindheit, aus historischen oder religiös-mythischen Büchern, es waren Bilder, die Sie beeindruckt oder Menschen, die Sie geängstigt hatten.
Sie sahen im Traum bedrohliche Gesichter über dunklen Ozeanen, Sie wurden bei Ritualen geopfert, Krokodile und Fantasiekreaturen erschreckten Sie, grauenhafte Schlachten wurden geschlagen und Raum und Zeit nahmen unendliche Dimensionen an. Sie haben das besser beschrieben, da Sie es durchlitten haben.
Und Sie begriffen, dass das menschliche Gehirn nichts vergisst, dass „die Inschrift“ aller Erlebnisse nur zeitweise von einem Schleier verhüllt ist.
Die Angst vor dem Entzug war zunächst zu groß, doch dann wagten Sie es:
„Ich erkannte, dass ich sterben müsste, wenn ich dem Opium treu bliebe, und entschloss mich, wenn es nötig war, zu sterben, indem ich verzichtete.“
Seite 80 aus Thomas de Quincey, „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“, 172 Seiten (ohne Anmerkungen), übersetzt von Walter Schmiele, erschienen 1965 im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) München.
Der Entzug war entsetzlich, körperliche und seelische Qualen mussten Sie erleiden – trotzdem schafften Sie es. Ihre geistige Frische kehrte zunehmend zurück, doch die fruchtbaren Träume suchten Sie noch immer heim, als Sie am Ende Ihres Berichtes angelangt waren. Es folgt noch ein
Anhang
in dem Sie einige Zeit später (Sie begründen die Unterbrechung mit Ihren Entzugsqualen) schildern, wie Sie nach einigen Fehlschlägen durch eine rasche Senkung der Tagesdosen vom Laudanum weggekommen sind und andere Süchtige ermutigen, es Ihnen nachzutun.
Wir beide wissen, dass das Lied vom Opium für Sie leider nicht endgültig verklungen war, aber das wird sich erst in „“Suspiria de Profundis – Neue Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ aus dem Jahr 1845 erweisen.
Bekenntnisse eines englischen Opiumessers
Mein Fazit
Mr. Thomas de Quincey, Sie sind ein wahrlich poetischer Philosoph und brillanter Vordenker auf den Gebieten der Selbstanalyse, wissenschaftlichen Traumdeutung und Tiefenpsychologie.
Sie haben mich mit „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ manchmal verwirrt, zeilenweise schockiert und vor allen Dingen fasziniert.
Ich möchte meinen „geneigten Lesern“ (ich leihe mir diesen Ausdruck von Ihnen) Ihren Bericht ans Herz legen und auf die Fortsetzung Ihrer Bekenntnisse „Suspiria de Profundis“ und Ihres Lebenslaufs verweisen, die ich beide nächste Woche auf Meine Leselampe vorstelle.
Meine Quellen und Weblinks
- zur Biographie: https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_De_Quincey und
- zu den Bekenntnissen: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/bekenntnisse-eines-englischen-opiumessers/11843
Mein Lese-Exemplar
Thomas de Quincey, „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“, 172 Seiten (inclusive „Suspiria de Profundis“, aber ohne Anmerkungen), übersetzt von Walter Schmiele, erschienen 1965 im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) München.
Mein Exemplar gibt es derzeit nicht mehr, aber ähnliche…