“Die Rückkehr” – Einleitung

Anlässlich des bevorstehenden Halloween-Festes möchte ich Euch einen Roman des viktorianischen Schriftstellers Thomas Hardy (1840-1928) vorstellen. “The Return of the Native” hat auf den ersten Blick mit Schauerliteratur nichts zu tun, auf den zweiten sehr wohl…

Von Januar bis Dezember 1878 veröffentlichte Thomas Hardy seinen Roman “Die Rückkehr” zunächst in zwölf Folgen in einer Londoner Literaturzeitschrift [1], die 1866 von seiner Kollegin Mary Elizabeth Braddon [2] gegründet worden war.

“Die Rückkehr” war Hardys insgesamt siebtes Werk [3] und er tat sich schwer, einen Verleger zu finden, der es als Buch heraus bringen würde. Denn Hardy packte – gesellschaftlich gesehen – mal wieder ein heißes Eisen an: außereheliche Beziehungen.

Die Egdon-Heide liegt in Thomas Hardys fiktiver Grafschaft Wessex [4], in der zahlreiche seiner insgesamt 14 Romane spielen, so auch “Der Bürgermeister von Casterbridge” [ebenfalls unter 4].

“Die Rückkehr” – zum Inhalt

So könnte sie aussehen, die Egdon-Heide, Hardys “erhabene, würdige und einsame” Heldin,

"Die Rückkehr"

die alles beherrschende, fast mystische Macht in diesem Roman.

(Bild links: Ngoc Tang/Pixabay)

Thomas Hardy schildert die Egdon-Heide als unbarmherzige und belebte Natur, in der ein Wispern, Pfeifen, Seufzen – “ein ewiges Stöhnen ertönt, das kaum von der Luft herrühren konnte”. Die Heide scheint sich unendlich zu erstrecken, ist – nur vom Horizont begrenzt – ein Universum für sich, das lange vor uns Erdbewohnern bestand. Die Rainbarrows [5] auf der Egdon-Heide zeugen von der Flüchtigkeit der menschlichen Existenz.

Beginnt es zu dämmern, erklingen “leise, unterirdische Töne aus Erdlöchern und hohlen Stengeln”. Sinkt die Dunkelheit vollends herab, erwacht die Egdon-Heide und lauscht:

“Allabendlich schien ihre Titanengestalt etwas zu erwarten; doch hatte sie solchermaßen, unbewegt, schon viele Jahrhunderte hindurch und während der Wende so vieler Dinge gewartet, dass man sich nur vorstellen konnte, sie erwarte eine letzte Wende – den endgültigen Untergang.”

Seite 11, Hardy, Thomas, “Die Rückkehr”, Roman, 630 Seiten (incl. Nachwort), erschienen 1955 im Manesse Verlag, Zürich.

Heidekraut, Stechginster und Glockenheide sind das Gewand der Egdon-Heide, den Sturm sieht Hardy als ihren Geliebten, den Wind als ihren Freund.

"Die Rückkehr"

(Bild rechts: Markus Kammermann/Pixabay)

Ein karger Ort,

die Einheimischen leben vom Schneiden und Sammeln des Ginsters oder von der Schafhaltung. Oder wie Diggory Venn, der “Rötelmann”, vom Verkauf roten Ockers an die Schafzüchter. Die Farbe hat Venns Haut und Kleidung eingefärbt, so fällt nicht gleich auf, dass er gut aussieht. Er ist ein aufrechter Mensch, der über das Schicksal von Thomasin (Tamsin) Yeobright wacht, obwohl sie einst seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte.

Tamsin wählte stattdessen den unsteten Damon Wildeve zum Ehemann, einst Ingenieur, jetzt zum Gastwirt in der Heide “abgestiegen”. Wildeve wiederum fühlt sich zur jungen, wunderschönen Eustacia Vye hingezogen und kann nicht von ihr lassen, auch als er nach einigen Problemen und Verzögerungen mit Tamsin verheiratet ist.

Eustacia stammt nicht aus der Gegend, sie lebt bei ihrem Großvater auf der Heide, weil ein unverheiratetes Mädchen keine andere Möglichkeit hat. Auf die “ungebildeten” Bewohner der Heide sieht sie herab. Sie möchte in großen Städten wie Paris leben und an gesellschaftlichen Vergnügungen teilhaben. Den Mann, der ihr diesen Wunsch erfüllen und sie von der Egdon-Heide wegbringen kann, wird Eustacia lieben. Damon Wildeve hat sie eine Zeitlang gefesselt. Doch wie er verzehrt Eustacia sich weniger nach einer Erfüllung, sondern nach der Verheißung – der Verheißung eines schönen Lebens, einer wilden Liebe:

Bis zum Wahnsinn geliebt zu werden, das war ihr Herzenswunsch. Liebe war für sie ein Labsal, das die nagende Einsamkeit ihrer Tage vertreiben konnte. Und mehr als nach einem bestimmten Liebhaber schien sie sich nach dem Begriff, der Liebe selbst, zu sehnen.”

Seite 113, Hardy, Thomas, “Die Rückkehr”, Roman, 630 Seiten (incl. Nachwort), erschienen 1955 im Manesse Verlag, Zürich.

Als Clym Yeobright, Tamsins Cousin, in die heimatliche Egdon-Heide zu seiner verwitweten Mutter zurückkehrt, fällt Eustacias Wahl folgerichtig auf ihn. Bisher lebte Clym als Diamantenhändler in Paris, er könnte ihr Passierschein für das ersehnte Luxus-Leben werden. Die bittere Ernüchterung folgt schon bald. Zwar heiraten Clym und Eustacia, aber Clym will nicht mehr nach Paris. Er möchte sinnerfüllt leben und eine Schule für Kinder aus armen Verhältnissen gründen. Und so sieht Eustacia sich in einer kleinen Hütte auf der Egdon-Heide auf ewig gefangen. Auch Clym plagen Sorgen, ihn belastet der Bruch mit seiner Mutter, die Eustacia als Schwiegertochter ablehnt und mit der sie sich zerstritten hat.

Ein dramatisches Beziehungsgeflecht, in das Thomas Hardy seine Figuren verwickelt – für einige wird es tödlich enden. Ist die Egdon-Heide ein verhängnisvoller Schauplatz, der solche Dramen fördert? Straft die Heide die Menschen, die sich ihr nicht zugehörig fühlen oder die nicht zu ihr zurückkehren, sondern fort wollen? Oder sind es am Ende die persönlichen Eitelkeiten und Unmäßigkeiten, die die Betroffenen ins Unglück stürzen?

“Die Rückkehr” – mein Fazit

Kraftvoll, packend, unheimlich – “Die Rückkehr” ähnelt in der Komposition eher einer elisabethanischen Tragödie, einem Drama a la Shakespeare als einem viktorianischen Gesellschaftsroman (vgl. Nachwort von Richard Gerber). Thomas Hardy selbst schrieb in einem Vorwort zu einer späteren Ausgabe, ein Punkt in dem von ihm geschilderten Landstrich sei “die Heide des alten Lear, des sagenhaften Königs von Wessex”.

Von Beginn der Erzählung bis zu ihrem Ende erschafft Hardy eine mystische Stimmung: er beschreibt die bedrückende Urtümlichkeit der Heide so bildhaft, dass man glaubt, sie vor sich zu sehen. Dem fügt Hardy schaurige Elemente hinzu wie die nächtlichen Feuer,

"Die Rückkehr"

die anlässlich des Guy-Fawkes-Day [6] am 5. November auf den Hünengräbern in der Heide lodern,

(Bild links: The_Red_Queen/Pixabay)

den vom Ocker rot gefärbten Rötelmann, der auf viele Menschen wie der Teufel wirkt und der bei einer nächtlichen Kartenpartie scheinbar dämonische Kräfte entfaltet

"Die Rückkehr"

oder Susan Nonesuchs Rituale gegen die vermeintliche Hexe Eustacia,

(Bild rechts: Tracy Lundgren/Pixabay)

all das eingebettet in die Schatten und Stimmen der Heide… Die in das Drama verwickelten Personen werden von den zum Teil bodenständigen, aufrechten, zum Teil abergläubisch-furchtsamen, zum Teil burlesken Heidebewohnern flankiert – ein wenig “Lokalkolorit” zum Entspannen und Durchatmen.

Ich war und bin begeistert von Thomas Hardys Werk. Leider ist es etwas aufwändig, eine deutschsprachige Ausgabe aufzutreiben. Sicher findet sich etwas in Leihbüchereien, in Antiquariaten oder auf Flohmärkten… Der Aufwand lohnt sich, das verspreche ich.

“Die Rückkehr” – mein Lese-Exemplar

Hardy, Thomas, “Die Rückkehr”, Roman, 630 Seiten (incl. Nachwort von Richard Gerber), übersetzt von Elisabeth Schnack, erschienen 1955 im Manesse Verlag, Zürich. Eine englische Taschenbuchausgabe habe ich gefunden: Hardy, Thomas, “The Return of the Native”, 454 Seiten, erschienen 2014, keine Verlagsangabe.

Aktualisierter Zusatz (6.11.2022): dank des Hinweises der Lektorin, Übersetzerin, Texterin, Autorin und Storytellerin Rebecca Scharpenberg kann ich Euch nun eine verfügbare deutsche Ausgabe nennen.

“Die Rückkehr” wurde nicht nur 1955 vom Manesse Verlag herausgegeben, sondern auch 1996 vom dtv Verlag unter dem Titel “Auf verschlungenen Pfaden”. Beide Ausgaben waren lange Zeit vergriffen, seit 2015 ist eine dtv-Taschenbuchausgabe (Übersetzung Helga Schultz, 560 Seiten) wieder im Buchhandel erhältlich!!

Herzlichen Dank, Rebecca Scharpenberg, für den Tipp. Wenn Ihr Euch für ihre vielseitige und wortschöpferische Arbeit interessiert, findet Ihr Rebecca Scharpenberg unter anderem hier -> https://www.worteule.de/Ueber-mich/. Und ich freue mich, dass Thomas Hardys beeindruckender Roman nun doch für alle interessierten LeserInnen zugänglich ist.

“Die Rückkehr” – Quellen und Weblinks

  • [3] “Die Rückkehr ist zwar der siebte Roman Hardys, aber der sechste, den er veröffentlich hat. Der erste Roman blieb sozusagen “in der Schublade” des Autors liegen…-> https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hardy

[6] der Guy-Fawkes-Day -> https://www.brauchwiki.de/guy-fawkes-day/

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"Die Rückkehr"