Ihr Werk “Frauen und Töchter” konnte die viktorianische Schriftstellerin Elizabeth Gaskell nicht mehr vollenden, sie starb 1865. Aber der Roman ist soweit gediehen, dass wir den Ausgang unschwer erkennen können. Und ein bisschen Raum für unsere eigene Phantasie haben. Träumereien passen in die Adventszeit und zum Viktorianischen Weihnachtszauber…..
Inhalt
“Frauen und Töchter” – zur Einleitung
“Frauen und Töchter”, der Originaltitel lautet “Wives and Daughters”. Der Untertitel “Eine alltägliche Geschichte” ist bezeichnend für den Inhalt. Elizabeth Gaskell erzählt die Geschichte Molly Gibsons, die als Tochter eines Landarztes in dem behaglichen Flecken Hollingford aufwächst. Ein normales Frauen-Leben in der Provinz im viktorianischen England.
Doch dienen die provinzielle Kulisse und der Alltag eines heranwachsenden Mädchens und später jungen Frau in “Frauen und Töchter” Elizabeth Gaskell einmal mehr dazu, ihre fein artikulierte Kritik an der den Frauen verwehrten Selbstbestimmung und Bildung anzubringen.
Wohlgemerkt: Elizabeth Gaskell war keine Emanze im heutigen Sinne, ihre Kritik war eher einer der vielen Tropfen, die allmählich den Stein höhlen. Einige viktorianische Regelungen, die ihr Geschlecht unterdrückten, hielt sie sogar für normal.
“Frauen und Töchter” – über die Autorin
Elizabeth Cleghorn Stevenson wird 1810 in London geboren. Ihre Mutter stirbt im Jahr darauf, Elizabeth wächst zunächst bei einer Tante in der Kleinstadt Knutsford in Cheshire auf, später besucht sie ein Internat in Stratford-upon-Avon.
Das malerische Städtchen Knutsford heute. Elizabeth Gaskell nahm es als Vorlage für die Orte Cranford (im gleichnamigen Roman) und Hollingford (in “Frauen und Töchter”).
(Bild links: dnv/Pixabay)
Nach dem Tod ihres Vaters 1829 reist Elizabeth durch Schottland und England und lernt 1831 den unitarischen Geistlichen und College-Dozenten William Gaskell in Manchester kennen. Die beiden heiraten 1832 und leben fortan in der grauen und verqualmten Industriestadt.
Elizabeth Gaskell unterstützt ihren Mann bei der Gemeindearbeit, hilft den Armen, wo sie kann und lernt früh die negativen Auswirkungen der Industriellen Revolution kennen: Hunger und Verelendung. Das inspiriert die Gaskells zu ihrem Gedichtzyklus “Sketches Among the Poor”.
Die Industrielle Revolution machte aus Städten wie Manchester soziale Brennpunkte, die Elizabeth Gaskell in ihren Romanen “Mary Barton” oder “North and South” beschrieb.
(Bild rechts: Alberto Barco/Pixabay)
In den folgenden Jahren veröffentlicht Elizabeth Gaskell anonym oder unter Pseudonym verschiedene Beiträge in Sammelbänden sowie Erzählungen und Kurzgeschichten. Ihr erster Roman “Mary Barton. A Tale of Manchester Life” erscheint 1848 unter ihrem Namen. Elizabeth Gaskell macht in diesem Werk das Elend der Fabrikarbeiter und die sozialen Spannungen in Manchester publik und löst eine breite öffentliche Diskussion aus.
1851 veröffentlicht Charles Dickens Gaskells skizzenhaft angelegten Roman “Cranford” in Fortsetzungen in seiner Zeitschrift “Household Words”. 1855 erscheint der nächste Industrie-Roman unter dem Titel “North and South”, 1857 bringt Elizabeth Gaskell die Biografie ihrer verstorbenen Freundin Charlotte Brontë (https://www.meineleselampe.de/jane-eyre-1/) auf Bitten deren Vaters heraus : “The Life of Charlotte Brontë”, ein umstrittenes Werk.
Elizabeth Gaskell bringt vier Töchter zur Welt, ihr einziger Sohn stirbt ein Jahr nach seiner Geburt an Scharlach. Mit ihrem Mann oder ihren Töchtern oder auch allein reist Elizabeth Gaskell viel, sie besucht Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien.
Biografen beschreiben Elizabeth Gaskell als warmherzige Mutter, mitfühlend, sozial engagiert, intelligent, gesellig und reiselustig. Noch heute genießt sie den Ruf, eine der bedeutendsten viktorianischen Schriftstellerinnen zu sein, ja, ihre Beliebtheit wächst auch 155 Jahre nach ihrem Tode ständig.
Ihre großen Themen waren das Elend der Arbeiter durch die Industrielle Revolution und die Unterdrückung der Frau durch die viktorianischen Konventionen.
(Bild links: wikimedia, Porträt Elizabeth Gaskell, 1851 von George Richmond, Public Common)
1865, sie schreibt noch an ihrem Roman “Frauen und Töchter”, stirbt Elizabeth Gaskell unerwartet in Holybourne in Hampshire, ihr unvollendeter Roman “Frauen und Töchter” erschien ein Jahr nach ihrem Tod.
(Ich habe hier nur einige Werke Elizabeths Gaskells erwähnt, vollständige oder ausführlichere Bibliographien findet Ihr unter den unten genannten Weblinks!!!)
“Frauen und Töchter” – zum Inhalt
Gehen wir mit Elizabeth Gaskell zurück in das viktorianische England vor 1832. Die zu Beginn des Romans zwölfjährige Molly Gibson wächst in der beschaulichen Gemeinde Hollingford auf. Ihre Mutter ist früh gestorben, mit ihrem Vater verbindet sie ein vertrauensvolles, kameradschaftliches Verhältnis. Allerdings hält Doktor Gibson, obwohl selbst gebildet und ein Verstandesmensch, nichts von zu viel Wissensdurst bei Mädchen und Frauen. Vielleicht ist es das männliche Überlegenheitsgefühl, das ihn seine Tochter gern als “Gänschen” titulieren lässt. (Ich hätte meinem Vater etwas “gehustet”, wenn er das gewagt hätte!!!)
“Frauen und Töchter” beginnt mit einem großen Tag für Molly. Mit den unverheirateten Schwestern Browning, die Molly wie ihr eigenes Kind lieben, darf sie zum alljährlichen Empfang bei Lord und Lady Cumnor. Die Welt des Adels erschreckt sie, zumal die Misses Browning sie bei der Heimfahrt vergessen und sie in Cumnor Towers, hungrig und müde dazu, plötzlich allein auf sich gestellt ist. Wir lernen Lord Cumnor als leutseligen, gutmütig-schwatzhaften Patron kennen, seine Frau als hochmütig und dünkelhaft, die frühere Gouvernante des Hauses und nun verwitwete Mrs. Kirkpatrick als scheinheilig – hier fühlt Molly sich nicht wohl und ist froh, als ihr Vater sie abends abholt.
Molly macht sich durchaus ihre eigenen Gedanken über Schein und Sein…
(Bild rechts: OpenClipart-Vectors/Pixabay)
Besser gefällt es Molly bei der Familie des Squire Hamley, auch ihr Vater schätzt den urwüchsigen, aber geradlinigen Mann.
Roger Hamley ist ein typischer Vertreter der Gentry, des Landadels. Kein schlechter Charakter, aber schnell und laut herauspolternd, wenig gebildet, kulturell desinteressiert, der Scholle verhaftet, an der althergebrachten Ordnung festhaltend, könnte er ein direkter Vorfahre von Onkel Matthew aus “Englische Liebschaften” sein -> https://www.meineleselampe.de/englische-liebschaften-nancy-mitford/).
Mrs. Hamley, seine Frau, stammt aus London. Feinfühlig und kultiviert, kränkelt sie und verkümmert an der Seite ihres Mannes, der sie sehr liebt, aber ihre seelischen Bedürfnisse nicht versteht. Sie sehnt sich nach Gesellschaft und hat Mr. Gibson, der sie behandelt, schon oft um den Besuch Mollys gebeten.
Die Söhne der Hamleys sind ein ebenso ungleiches Paar wie ihre Eltern: Osborne, der Ältere, ist mädchenhaft schön, kultiviert und sensibel, gilt als intellektuell, die Eltern erhoffen sich eine große Universitätskarriere von ihm. Roger Junior kommt äußerlich nach dem Vater, ist ruhig, sehr fleißig, aber nicht intellektuell, von ihm erwarten die Hamleys nicht viel.
Bisher hat Mr. Gibson seine Molly ja für sich haben wollen, als aber einer seiner zwei Schüler ihr den Hof macht, schickt er sie zu Mrs. Hamley und die beiden freunden sich an. Auch die Söhne lernt Molly kennen, für Osborne und seine Gedichte schwärmt sie (kurzzeitig), Roger schätzt sie, weil er sie ernst nimmt und in die Welt der Wissenschaft einführt.
Molly bei den Hamleys unterzubringen, ist keine Lösung auf Dauer und daher gedenkt Mr. Gibson, sich zu verheiraten, um eine Anstandsdame im Hause zu haben. Seine Wahl fällt – forciert von Lady Cumnor – auf Mrs. Hyacinth Kirkpatrick, die er flüchtig aus ihrer Zeit als Gouvernante der Cumnor-Töchter kennt und der er ihr fürsorgliches Gehabe glaubt.
Molly ist anfangs nicht begeistert, zumal sich ihre Stiefmutter als geistloses, vergnügungssüchtiges und selbstverliebtes Geschöpf entpuppt, deren Auffassung von Ehe lautet:
“Ob ich wohl mein ganzes Leben für Geld schaffen und schuften muss? Das ist nicht natürlich! Der natürliche Zustand ist die Ehe, dann muss der Mann die Schwerarbeit leisten, und die Frau sitzt wie eine Lady im Salon.”
Seite 127 in E. Gaskell, “Frauen und Töchter”, Fischer Verlag, 2013, genauer s.u.
Mr. Gibson ist rasch von seiner Ehe ernüchtert, bei seiner anstrengenden Arbeit als Landarzt erfährt er keine Unterstützung durch seine Frau. Er wahrt aber die Fassung.
Cynthia, Mrs. Kirkpatricks Tochter aus erster Ehe, bis jetzt in einem Internat in Frankreich untergebracht, zieht nach der Heirat ihrer Mutter zu den Gibsons. Sie und Molly freunden sich an, der bald auffällt, dass Cynthia vor großen Gefühlen zurückschreckt und sich in oberflächliche Heiterkeit und Flirtereien flüchtet. Roger Hamley verliebt sich rettungslos in Cynthia und verlobt sich mit ihr, sehr zu Mollys Kummer, die von ihrer Schwärmerei für Osborne abgefallen ist und nun seinen jüngeren Bruder liebt.
Über die Hamleys kommt unterdessen großes Unglück. Mrs. Hamley stirbt, Osborne versagt auf der Universität und entzweit sich mit seinem untröstlichen Vater. Wenn dieser gar wüsste, dass Osborne heimlich und nicht standesgemäß verheiratet ist!!!! Molly hat es erfahren, als sie unfreiwillig Zeugin eines Gespräches der beiden Brüder wurde. Als treue Freundin bewahrt sie Stillschweigen und hilft der trauernden und entzweiten Familie, so gut sie es vermag.
Cynthia scheint auch ein Geheimnis zu bedrücken, was verbindet sie mit dem gutaussehenden und aufdringlichen Mr. Preston? Lord Cumnors Gutsverwalter scheint sie in der Hand zu haben. Als Molly ihrer Stiefschwester helfen will (auch um Rogers willen, der auf einer Forschungsreise im Ausland ist), macht sie sich zum Gerede von ganz Hollingford und ist – völlig unschuldig – unten durch. Unerwartete Hilfe erhält sie von der selbstbewussten Lady Harriet, einer der Töchter der Cumnors. Sie mag Molly und deren aufrechte Art und setzt den kränkenden Gerüchten ein Ende.
Doch die Verstrickungen und Verwirrungen im beschaulichen Hollingford gehen weiter…..
“Frauen und Töchter” – mein Fazit
Ein bezauberndes Buch über die Rolle der Frau im viktorianischen Zeitalter, über das Landleben, Standesdünkel, gesellschaftliche Normen und Zwänge.
“Frauen und Töchter” liest sich leicht und ist doch keine leichte Kost. Mit feiner Ironie kritisiert Elizabeth Gaskell Sitten und Moral ihrer Epoche, man erinnert sich unwillkürlich an Jane Austens Art zu schreiben.
Zum Beispiel entlarvt Elizabeth Gaskell in zwei kurzen Sätzen die viktorianische Denkungsart der Männer über Frauen, indem sie Mollys Vater sagen lässt:
“Ich glaube, es liefe alles leidlich glatt in der Welt, wenn es keine Frauen gäbe. Die machen einem das Leben schwer.”
Seite 673 in E. Gaskell, “Frauen und Töchter”, Fischer Taschenbuch, 2013, genauer s.u.
Molly, harmlos und aufrecht in ihren Gefühlen und Gedanken, bleibt sich und denen, die sie mag, treu und lässt sich von Vorurteilen oder dem schönen Schein nicht beirren. Sie ist eine verlässliche Freundin derer, die schuldlos oder aus Schwäche in all die kleinen und großen Dramen in Hollingford verstrickt sind.
Und die am Ende verdientermaßen belohnt wird? Findet es heraus.
“Frauen und Töchter” ist ein wundervolles, ruhiges und aufhellend wirkendes Buch für die Weihnachtsfeiertage, das mit einem Nachwort von Alice Reinhard-Stocker perfekt abgerundet wird. Schade, dass ich es schon gelesen habe…
“Frauen und Töchter” – mein Lese-Exemplar
Elizabeth Gaskell, “Frauen und Töchter” (“Wives and Daughters”, 1865/66), Roman, 840 Seiten (ohne Nachwort und Zeittafel), übersetzt von Andrea Ott, erschienen 2013 bei Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main.
“Frauen und Töchter” – Quellen und Weblinks
zur Biographie und den Werken Gaskells:
- https://gaskellsociety.co.uk/elizabeth-gaskell/
- https://www.britannica.com/biography/Elizabeth-Cleghorn-Gaskell
- https://www.lovelybooks.de/autor/Elizabeth-Gaskell/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Elizabeth_Gaskell
- Alice Reinhard Stocker im Nachwort zu “Frauen und Töchter”, Fischer Taschenbuch 2013 (s.u. Mein Lese-Exemplar)