Italien war den Engländern schon immer eine Reise wert und stand bereits bei den Kavalierstouren der Neuzeit und dann bei den bürgerlichen Bildungsreisen des 19. Jahrhunderts auf dem Programm. Und so machte sich auch der Schriftsteller Charles Dickens mitsamt Familie auf den Weg in den Süden.

»Italienische Reise« – Einleitung

1842 hatte Charles Dickens Amerika besucht, im Sommer 1844 reiste der viktorianische Schriftsteller mit seiner Familie nach Italien. Er brauchte eine mehrmonatige Auszeit, Erholung vom Londoner Trubel und wollte in Ruhe, ohne Druck seiner Verleger, einen Roman schreiben.

Die literarische Ausbeute des Urlaubs in Italien waren die sozialkritische Weihnachtsgeschichte “The Chimes” (auf Meine Leselampe im Dezember 2019 vorgestellt). Und seine Eindrücke fanden Niederschlag in »Italienische Reise« (OT: »Pictures from Italy«) sowie in »Little Dorrit« (1857 -> https://www.meineleselampe.de/little-dorrit-charles-dickens-1857/).

Es ist kein Reiseführer der üblichen Art, Charles Dickens geht auch hier seinen eigenen Weg. Gleich zu Beginn seiner »Italienischen Reise« schreibt er, dass er weder geschichtlich noch kunsthistorisch belehren möchte und auch nicht die Politik und Religion des Landes kritisch beleuchten wird – nein, er möchte seine eigenen und unmittelbaren Eindrücke und Empfindungen schildern. Und das tut er auf die typisch Dickens’sche Art: phantasievoll, bildhaft, symbolisch.

»Italienische Reise« – zum Inhalt

Die Schönheiten der Natur und italienischen Landstriche, Altertümer und ihre Geschichte, die Pracht der Kathedralen und des römischen Karnevals, aber auch verfallende Bauten, Elend und Armut – Dickens präsentiert seinen LeserInnen einen bunten Bilderbogen, ein lebendes Panorama.

Erste Station nach der Anreise über Paris, Chalon, Lyon, Avignon und Marseille ist Genua, hier hielten sich der Schriftsteller und seine Familie (die Dickens nur wenig erwähnt) insgesamt am längsten auf.

Die Stadt macht auf Dickens einen malerisch-düsteren und heruntergekommenen Eindruck, er und seine Familie haben in ihrem ersten Domizil gehörig unter Mäusen und Flöhen zu leiden. Trotzdem wächst Dickens die Stadt ans Herz, er lobt die schönen Spazierwege und die Abwechslungen, die Genua dem Reisenden bietet.

Italienische Reise

Mit Dickens lernen wir Parma, Bologna, Venedig, Verona, Mailand, Rom, Neapel, Pompeji kennen, um nur einige Stationen zu nennen.

(Bild links: Prawny/Pixabay)

Wir riechen brackiges Hafenwasser und die modrige Luft alter Gemäuer, sehen Mehltau an Pflanzen, hören Menschen fluchen und lachen, atmen staubige Luft, beobachten gerührt ein einsames Glühwürmchen, so genau und plastisch vermittelt Dickens uns, was er auf seiner »Italienischen Reise« sieht, riecht, hört und dabei empfindet.

Bei historischen Bauwerken oder bei den Kunstwerken großer Meister teilt Dickens nicht das Urteil der Sachverständigen, er lobt nur, was ihm gefällt und in diese Kategorie gehört Michelangelo für den englischen Schriftsteller eindeutig nicht.

So enttäuscht uns der schiefe Turm von Pisa unweigerlich, denn Dickens erscheint er viel kleiner und unbedeutender als in den Schulbuch-Abbildungen.

In Rom erleben wir mit ihm das Karnevalstreiben, sehen den Papst beim Ostersegen und – krasser Gegensatz – wohnen einer Hinrichtung durch die Guillotine bei. Dickens beschreibt das grausige Schauspiel erstaunlich sachlich und ungerührt (und ziemlich detailliert).

Wir besteigen mit ihm und seiner Familie den rauchenden Vesuv und blicken über den vereisten Kraterrand in die glühende Lava – eine nicht ungefährliche Tour, es gab einige Verletzte bei dem Unterfangen.

Venedig erleben wir dank Dickens als einen Traum – allgegenwärtiges glitzerndes Wasser, schwarze Gondeln in dunklen engen Kanälen…

Italien ist für Charles Dickens ein Land der Gegensätzlichkeiten, am Ende seiner Reisebeschreibung fasst er seine unterschiedlichen Eindrücke treffend zusammen:

“Scheiden wir in Mitleid von Italien wegen all seines Elends und seiner Missstände, scheiden wir in Bewunderung für die überreichen Schönheiten seiner Landschaft und seiner Kunst, scheiden wir in Liebe für sein von Natur aus so liebenswürdiges, geduldiges und gutherziges Volk.”

Seite 317-318 aus Charles Dickens, “Italienische Reise”, Reisebericht, 318 Seiten (ohne Nachwort), aus dem Englischen übersetzt von Noa Kiepenheuer und Friedrich Minckwitz, mit einem Nachwort von Werner Hermann, erschienen im Hoffmann und Campe Verlag, kein Datum (ist aus einem Antiquariat, also schon älter).

»Italienische Reise« – mein Fazit

Es ist für uns eine Zeitreise in ein Italien, das es heute so nicht mehr gibt. Die lebendigen Eindrücke und Bilder des Charles Dickens vermitteln den Lesern fast das Gefühl, als wären sie mit ihm zusammen unterwegs und mittendrin im Geschehen. Und so ist Charles Dickens »Italienische Reise« bestens geeignet, um in Ferienstimmung zu kommen oder als Seelenmedizin gegen schlechtes Wetter!

»Italienische Reise« – mein Lese-Exemplar (Werbung)

Charles Dickens, »Italienische Reise«, Reisebericht, 318 Seiten (ohne Nachwort), aus dem Englischen übersetzt von Noa Kiepenheuer und Friedrich Minckwitz, mit einem Nachwort von Werner Hermann, erschienen im Hoffmann und Campe Verlag, kein Datum (ist aus einem Antiquariat, also schon älter).

Es gibt aber auch neue Ausgaben, u.a, bei Amazon:

Dickens, Charles, Italienische Reise, gebundene Ausgabe, 196 Seiten, in der Übersetzung von Julius Seybt, Hofenberg Verlag, 2017.

»Italienische Reise« – Quellen und Weblinks

Der Beitrag wurde erstmals am 10. März 2020 veröffentlicht und überarbeitet/aktualisiert nochmals am 19. Mai 2024. Daher ist die folgende Rubrik Meine Leselampe-Vorschau nicht mehr gültig, bleibt aber wegen des Links zu Bulwer-Lytton und seinem utopischen Roman im Beitrag.

Meine Leselampe –Vorschau

In der nächsten Woche stelle ich Edward Bulwer-Lytton (1803-1873) und seinen Roman: »Vril – oder eine Menschheit der Zukunft« (»The coming race«) vor. Eines der ersten utopischen Werke überhaupt -> Bulwer-Lytton: »Vril oder Eine Menschheit der Zukunft«.

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